SANTIANO / 26.08.2023
Open-Air-Konzert von Santiano
Osterholz-Scharmbeck. Eine frische Brise Wind und leichter Regen im Gesicht: Vorübergehend konnte der Konzertgast auf dem Freiluftgelände an der Osterholzer Stadthalle schietwetterbedingt noch ein wenig tiefer eintauchen in die seefahrerischen Erlebniswelten, in die Santiano ihn mit ihrer Shanty-Rockmusik ohnehin mitzunehmen beabsichtigten. Die Zunge noch ein wenig Meersalz vom Hering aus der nur ein paar Meter entfernten Fischbude spüren lassen, und die Illusion war perfekt.
Die fünf nicht mehr ganz taufrischen Naturburschen aus dem Norden Schleswig-Holsteins – Eigenwerbung: „Älteste Boygroup der Welt“ – mussten sich ihrerseits im trockenen Schutzraum der Bühne keinen Elementen entgegenwerfen, sieht man einmal von den Feuerstößen ab, die in zeitlich dichter Taktung aus den Flammenwerfern schossen.
Dabei war es nicht nur von der Pyrotechnik her eine eindrucksvolle Show, die den fast 7000 Besuchern des nicht mehr ganz hochsommerlichen Open-Air-Konzerts da geboten wurde. Auch LED-Wand und die mächtige Verstärkeranlage neben der 14 Meter breiten und elf Meter tiefen Bühne hatten mehr als genug Power, und das galt ebenfalls für das Quintett der singenden und spielenden Seebären.
Mit ihrem charakteristischen Sound, geprägt von Gitarren, der Violine des Multitalents Peter David Sage und dem mehrstimmigen Gesang aus rauen Kehlen, lieferten die fünf Musiker genau jenes Spektakel ab, das sich die Fans von dem überwiegend maritim ausgerichteten Abend versprochen hatten. Einige Besucher waren von der Küste angereist, andere aber auch aus dem Ruhrgebiet.
Santiano eröffneten das Konzert mit dem gleichnamigen Seemannslied, in dem sie „die Leinen losmachen“ und die Segel setzten, um sich vom Wind übers Meer tragen zu lassen. Der Song handelt vom Abschiednehmen, von Freiheit und Abenteuer. Das waren die Themen nicht nur auch der nachfolgenden Titel „Frei wie der Wind“ und „Gott muss ein Seemann sein“. Sondern es galt ebenso für „Hoch im Norden“, den furiosen Schlussakkord nach gut zwei Stunden, in den das Publikum in ausgelassener Stimmung mit einfiel. Alles übrigens auch sehr gut tanzbare Stücke, wie an diesem Sonnabend nicht zu übersehen war.
„Es war ein wirklich toller Abend“, lautete das Resümee, das Stadthallen-Manager Matthias Renken zog, nachdem er sich das auch von den Björn Both (Bass) und Hans-Timm Hinrichsen (Gitarre) hatte bestätigen lassen – backstage und auf „Plattdüütsch“. Mit 6850 Zuschauern meldete Renken einen neuen Rekordbesuch auf dem Stadthallengelände. Es seien noch ein wenig mehr Gäste als beim Pur-Konzert 2019 an gleicher Stelle gewesen.
Santiano appelliert in den von eingängigen Melodien bespielten Texten an die Sehnsüchte nach einer heilen Welt und nach dem Abenteuer, nach dem Ausbruch aus den Zwängen der Moderne. Die mit Mythen gespickten Seemannslieder werden bei höchster professioneller Präzision in der Bearbeitung der Instrumente und im Ensemble-Gesang mit großer Wucht vorgetragen. Ein Unterschied wie Tag und Nacht etwa zu Freddy Quinn, der einst ja ebenfalls das Meer als die Heimat des Matrosen besang.
Neben Shanty-Rock hat Santiano allerdings auch irischen Folk im Portfolio, mit bestechendem Spiel der Violine etwa bei „Irish Rover“. Dieses Volkslied, das in populären Versionen von den Pogues und den Dubliners gecovert wurde, handelt von einer Reise mit dem Ziel New York, zu der das Segelschiff, dem der Song seinen Namen verdankt, von Cork aus in See sticht. Da es jedoch irgendwann Schiffbruch erleidet, bleibt letztlich die Frage offen, ob die Erzählung des einzigen Überlebenden der Wahrheit entspricht oder ob da reichlich Seemannsgarn gesponnen wird.
Auch Santiano pflegen ihre Songs gerne mit vorausgeschickten Erzählungen zu garnieren, in der Regel gut durchdacht, mitunter aber auch etwas geschwätzig wie bei der Begrüßungsmoderation, als vom „Zauberer von Oz“ die Rede war. Eine Anspielung auf das Autokennzeichen „OHZ“. Trotz der phonetischen Übereinstimmung vielleicht doch ein wenig weit hergeholt.
Das Wetter meinte es am Ende übrigens dann doch noch recht gut mit den Konzertbesuchern, besonders mit den sicherlich zahlreichen Romantikern unter den Santiano-Fans: Während die Bandmitglieder schwärmerisch vom „Salz auf unserer Haut“ erzählten, schmückte sogar ein Regenbogen mit seinen bunten Farben den Himmel über der Konzertbühne.