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30.05.2024

Rilke Projekt / 25.05.2024

Weser-Kurier vom 27.05.2024

Poesie ist Pop

Warum Dietmar Bär und das Rilke-Projekt in der Stadthalle Osterholz-Scharmbeck begeistern

Osterholz-Scharmbeck. Im kommenden Jahr jährt sich Rainer Maria Rilkes Geburtstag zum 150. Mal, in 2026 ist sein 100. Todestag. Der Dichter, dessen Werk in der deutschen Literatur einzigartig geblieben ist, wird wieder in aller Munde sein. Ein gewichtiges Stück dazu beigetragen, die Verse ins Hier und Jetzt zu übertragen, hat seit mehr als zwei Jahrzehnten das Rilke-Projekt. Die beiden Frankfurter Musiker Angelica Fleer und Richard Schönherz haben in dieser Zeit auf einer Handvoll Alben seine Texte gemeinsam mit einer illustren Besetzung von Schauspielern und Musikerkollegen vertont.

Kurzweiliger Abend

Mit einer Auswahl davon gastierte das Rilke-Projekt nun erstmals in der Stadthalle Osterholz-Scharmbeck und damit in unmittelbarer Nachbarschaft zu Rilkes kurzzeitigem Wohnort Worpswede. Immerhin ist dort seine einzige Tochter geboren, und seine einzige Ehe schloss der wenig monogam lebende Dichter in Bremen. In einem örtlichen Buchladen steht bis heute sein Schreibtisch mitsamt Tintenfässchen, Moritz Rinke hat auch ihm in seinem Worpswede-Roman ein Denkmal gesetzt (der „Rilke-Topf“). Der Dichter hat also seine Spuren in der Region hinterlassen und nicht nur dort eine bis heute treue Fangemeinde. Die Kunst des Rilkes-Projekts aber ist, seine Dichtung einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Das Mittel der Wahl ist dabei ein popmusikalisches Gewand, das dezent genug im Hintergrund bleibt, um die Worte wirken zu lassen. Die gefälligen Kompositionen überhöhen das sowieso große Pathos nicht, aber sie brechen es auch nicht. Musikalisch ist alles in einem sanften Fluss, der dafür sorgt, dass auch 500 Menschen einen äußerst kurzweiligen Abend mit komplexen Inhalten verbringen können. Das ist ein beachtliches Verdienst, auch wenn man sich hier und dort ein bisschen mehr Reibung und ein wenig mehr Mut zum Experiment wünschen mag.

Das Konzept der Live-Auftritte beruht auf einer vierköpfigen Band mit Richard Schönherz selbst am Klavier, dazu Keyboards, Schlagzeug und Gitarre, Sänger Dominik Steegmüller sowie den drei Schauspielern Nina Hoger, Dietmar Bär und Thomas Arnold, die Lyrik zur Musik, aber auch Prosa zwischen den Liedern rezitieren. Manchmal treffen sie sich zu Dialogen oder ergänzen die gesungenen Übertragungen, sodass der Vortrag in seiner gleichbleibenden Dynamik dennoch Abwechslung bietet. Herausragend ist dabei Bär, in dem man natürlich immer ein bisschen den „Tatort“-Kommissar Freddy Schenk sieht, der aber mit seinem natürlichen Timbre und seinem unaufgeregten, aber extrem exakten Vortrag die Verse angenehm erdet.

In einem Interview im Vorfeld des Auftritts sagte Dietmar Bär, „Rilke bei Kerzenschein“ sei an seiner Schauspielschule die Floskel für übertrieben viel Pathos gewesen und dafür, das Heilige noch ein bisschen heiliger sprechen zu wollen. Genau dies vermeidet er und öffnet so auch Zugänge zu Zeilen, deren Bedeutung sich selbst beim wiederholten Lesen nicht immer erschließen. Er erfüllt perfekt die Anforderung an den Sprecher, der den Text durchdrungen hat und so dem Hörer einen Schritt voraus ist und der nun seinen Vorsprung in Form einer öffnenden Interpretation teilen kann.

Im Zusammenspiel mit den drei weiteren Stimmen wirft er Schlaglichter auf das Werk Rainer Maria Rilkes, das in seiner poetischen Schönheit auch in zeitgemäßen Zusammenhängen strahlt. Die Texte waren schon bei ihrer Veröffentlichung aus der Zeit gefallen – ein Umstand, den Rilke mit dem frühen Heinrich Vogeler teilte und der wohl dazu führte, dass er in Worpswede eine Zeit lang seine Heimat fand. Und wenn man so will, dann hatte auch Rilke schon Hits: Gedichte wie „Herbsttag“, „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen“ und natürlich „Der Panther“ – die vielleicht traurigsten zwölf Zeilen der Literaturgeschichte – kann das begeisterte Publikum in Teilen mitsprechen.